Ko-kreative Transformation von Innenstädten, Wohnquartieren
und ländlichen Räumen
Side-Event beim Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik 2022
Am 14. September 2022 stellte sich die Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ beim Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik vor. Die Vernetzungsinitiative konzentriert sich auf Strategien in drei räumlichen Zusammenhängen: Innenstädte, Wohnquartiere und den ländlichen Raum. Ein Kernanliegen ist es, dafür etablierte Akteur:innen mit Kreativschaffenden, Akteur:innen der Soziokultur und Stadtmacher:innen zusammenzubringen. Dementsprechend lud die Vernetzungsinitiative ein zu drei Diskussionsrunden mit je zwei Akteurinnen – aus der Gruppe der etablierten Akteur:innen und aus der Gruppe der Kreativschaffenden, Soziokultur bzw. Stadtmacher:innen, die im Gespräch den Mehrwert der Zusammenarbeit in den Innenstädten, Wohnquartieren und ländlichen Räumen anschaulich darstellten. In einer Gruppendiskussion wurde die Zusammenarbeit jeweils aus Sicht der Vernetzungsinitiative, des Bundes, der Immobilienwirtschaft und der Kultur- und Kreativwirtschaft beleuchtet und aufgezeigt, welchen Beitrag die einzelnen Akteur:innen in die Vernetzungsinitiative einbringen. Außerdem wurden die Herausforderungen einer koproduktiven, gemeinwesenorientierten Stadtentwicklung reflektiert: Wo gibt es Konflikte und wo wurden bereits gute Lösungsansätze gefunden? Wie zeigen sich die Erfolge in der Praxis?
Das Mindset ändern: Engagierte Akteur:innen als Mitgestalter:innen sehen!
Zu Beginn der zweistündigen Veranstaltung machte Michael Groschek, Präsident des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen und ehemaliger Bauminister des Landes Nordrhein-Westfalen, deutlich: „Die Personen, die sich engagieren, sollten nicht mehr als Störfaktor gesehen werden, sondern als Weiterentwickler, Mitmacher und Mitgestalter“. Dafür entscheidend seien ein verändertes Mindset in den Verwaltungen und eine Vernetzung zwischen etablierten Akteur:innen der Stadtentwicklung und Stadtmacher:innen, sowie Kulturschaffenden. Auch Martin Schulze vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen betonte in seiner Begrüßung: „Stadt ist ein Gemeinschaftswerk“. Außerdem setze die Vernetzungsinitiative Grundsätze der Neuen Leipzig-Charta um: sie arbeitet gemeinschaftlich, experimentiert und sucht nach innovativen Lösungen und übertragbaren Ansätzen. Genau aus diesen Gründen passe sich „Gemeinsam für das Quartier“ so gut in den Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik ein.
Koproduktion in Innenstädten: Offenbach am Main
Ein Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Kommune und Künstler:innen sowie Kreativschaffenden ist die Stadt Offenbach am Main. Anna-Maria Rose von der Agentur Mitte der Wirtschaftsförderung und Jan Lotter von der Hochschule für Gestaltung Offenbach und dem „UND-Projekt“ stellten ihren koproduktiven Prozess zur Transformation der Innenstadt vor, für das die neu gegründete Agentur Mitte seit Anfang 2021 das in den letzten Jahren von Stadt und Lokalwirtschaft gemeinschaftlich erarbeitete Innenstadtkonzept „Offen denken“ umsetzt. Ein Vorhaben daraus ist das Zwischennutzungsprojekt „UND“, dessen Leiter Jan Lotter und Prof. Heiner Blum der Hochschule für Gestaltung Offenbach sind. „Das ‚UND‘ ist ein öffentlicher Raum mit einem hohen Maß an privater Raumqualität“, erklärt Jan Lotter. Die UND-Zentrale befindet sich in einem ehemaligen Bankgebäude mitten in der Innenstadt und besteht aus einem Wohnzimmer mit Bibliothek, Spielen und Instrumenten. Ergänzt wird die Zentrale durch viele weitere Formate wie die UND-Küche, die UND-Bar, den UND-Kiosk oder die UND-Bühne. „Die Bürger:innen konnten im UND-Projekt als Gast an einem Ort sein, aber auch selber aktiv werden und ihre Erfahrungen und Ideen einbringen“, erklärt er weiter. Das UND habe so die kulturelle Energie und Vielfalt der Stadt im Zentrum der Stadt in verdichteter Form aufleben lassen. Auch in Zukunft wird es koproduktive Prozesse der Agentur Mitte und der Akteur:innen des UND-Projekts geben: Für die Nachnutzung des Rathaus-Pavillons in der Offenbacher Innenstadt soll das UND-Projekt eingebunden werden.
Innenstadtstrategien: Agiles Vorgehen, Betreibersuche und Ressourcen
Das Ziel des UND-Projektes war es, in Zusammenarbeit mit Bürger:innen und lokalen Initiativen einen Ort der Gemeinschaft für alle zu schaffen – in der Offenbacher Innenstadt, wo Menschen aus mehr als 150 Nationen zusammenkommen durchaus eine Herausforderung. „Über die konkreten Nutzungen des UND ist immer situationsabhängig entschieden worden“, so Anna-Maria Rose von der Agentur Mitte. Dadurch hätten sich die Bürger:innen mit dem Ort identifiziert, es gab keine Probleme mit Vandalismus. „Wir konnten gut sehen, wie durch temporäre Aktionen wie das UND-Projekt eine Aktivierung gelingen kann, wenn man eine Dynamik schafft. So wurden Ideen erlebbar“, erklärt Rose. Jan Lotter betont die entscheidende Rolle der Agentur Mitte für die Umsetzung des Projekts, weil sie den Raum in den Fokus setzte und die Kommunikation mit den Ämtern erleichterte. Herausforderungen, die noch angegangen werden müssen, sind laut Rose die Verstetigung solcher Zwischennutzungsprojekte, die starren Strukturen in der Stadtverwaltung und die knappen Personalressourcen.
Koproduktion in Wohnquartieren: Berlin-Gropiusstadt
Durch die Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ lernten sich zwei Akteur:innen kennen, die nun eine Strategie für die Wohnquartiersentwicklung in der Berliner Gropiusstadt erarbeiten: Katrin Baba-Kleinhans von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft degewo und Dr. Sabine Kroner von der Berlin Mondiale, einem Netzwerk von Künstler:innen, das künstlerische Zusammenarbeiten im Kontext Migration, Asyl und Exil initiiert und begleitet. Die Gropiusstadt ist als Großwohnsiedlung mit dem demographischen und gesellschaftlichen Wandel und einer diversen Mieterschaft konfrontiert. Die degewo, der ein Drittel der Wohnungen in der Gropiusstadt gehören, begleitet diesen Transformationsprozess mithilfe von künstlerisch-kulturellen Aktivitäten und Interventionen im Stadtraum. Damit will die degewo Integration, Teilhabe und Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner stärken. Dazu entwickelte sie gemeinsam mit der Berlin Mondiale auf dem Gelände der Apfelsinenkirche der Evangelischen Kirchengemeinde in der Gropiusstadt einen Ort für und mit der Nachbarschaft, den Apfelsinenplatz. Entstanden ist ein Gemeinschaftsort, mit verschiedenen Formaten: von Siebdruckworkshops über Tanzperformances bis hin zu anderen Formaten, für die die Ideen aus der Nachbarschaft kommen.
Prozesse wertschätzen und Mut, Empathie und Offenheit zeigen
„Wichtig für die Zusammenarbeit ist es, Mut und Empathie aufzubringen“, betont Dr. Sabine Kroner. Dabei sollte man sich bis zu einem gewissen Grad von einer reinen Ergebnisorientierung frei machen und den Prozesse einer solchen Koproduktion an sich wertschätzten, denn so werden Menschen zusammengebracht und neue Strukturen geschaffen. Dafür brauche es aber Vertrauen. Insgesamt sei es bei der Zusammenarbeit außerdem von Vorteil, seine Netzwerke und Ressourcen zu verschränken. Katrin Baba-Kleinhans hebt hervor, dass es sich bewährt habe, den Prozess flexibel zu halten – ein Novum für die degewo: „In unserem Vertrag mit der Berlin Mondiale steht nicht, was genau passiert, welche Künstler:innen was wann machen sollen etc. Wir gehen das offen an, da ist ein Scheitern mitinbegriffen. Unser Vorstand trägt das mit“.
Entwicklung ländlicher Räume und von Klein- und Mittelstädten: Prädikow und Helmstedt
Julia Paaß vom Netzwerk Zukunftsorte und dem Hof Prädikow in Brandenburg und Lorenz Flatt, Vorsitzender des Campus Helmstedt., Träger des Pferdestalls in Helmstedt in Niedersachsen sind als Akteure im ländlichen Raum bzw. einer Mittelstadt unterwegs. Bis zur Wende befanden sich auf dem Hof Prädikow eine Brennerei, eine Schmiede, Scheunen, Landwirtschaft und Wohngebäude. Seit sechs Jahren entwickelt ein genossenschaftliches Wohn- und Arbeitsprojekt den Vierseithof. Er soll zu einem Ort zum Wohnen, Leben, Arbeiten, für Kultur und mit multifunktionalen Räumen für die neuen 70 Bewohner:innen und die Menschen vor Ort werden. Der Hof Prädikow gab auch den Anstoß dazu, das Netzwerk Zukunftsorte zu gründen: „Es gibt so viele ländliche Projekte, wofür viel Wissen notwendig ist, das hart erarbeitet wurde. Wir wollten mit den Zukunftsorten eine Art Lobby für solche Projekte schaffen, die vorher nicht sichtbar waren“, erklärte Julia Paaß. Der Pferdestall in Helmstedt ist heute ein Club und Treffpunkt für junge Leute mit Workcafé, Bühne und einem Forum, das Raum bietet, an eigenen Ideen zu arbeiten. Der Verein Campus Helmstedt entwickelte sich aus einem bundesgeförderten Projekt des experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (ExWoSt). Später wurde er zum Träger des Pferdestalls in Helmstedt. „Wir sehen uns auch immer noch als Projekt, weil man immer wieder neue Leute dazu bringen muss“, ergänzt Lorenz Flatt. Das Projekt läuft auf Basis vom Ehrenamt und Förderern, die das Projekt ermöglichen.
Herausforderung „Ressourcen“: politische Unterstützung gefragt
Die größte Herausforderung für beide Projekte ist es, die Ressourcen für eine Verstetigung zu finden. Julia Paaß führt aus: „Die Arbeit wird mit viel Herzblut gemacht, wenn es aber keine Möglichkeit gibt, dass das honoriert wird, dann geht das irgendwann verloren. Gerade für Orte, wo es keine Räume für Kultur gibt, wäre es schön, wenn so ein Projekt, das zum Gemeinwohl aller beiträgt, unterstützt wird.“ Dabei stelle sich auch die Frage, wie man das generierte Wissen gemeinsam mit und an die Kommune weitergeben kann. Lorenz Flatt unterstreicht, dass es in ländlichen Strukturen meist kein Personal gibt, dass sich um das Thema der Kreativwirtschaft kümmern könne. Diese Unterstützung für solche Projekte von Seiten der Politik fehlt im ländlichen Raum sowie in Klein- und Mittelstädten bisher.
Diskussion: Neue Planungsmodelle und mehr strukturelle Unterstützung
In der Abschlussdiskussion kamen verschiedene Akteur:innen zu Wort, die die Vielfalt an Akteur:innen der Vernetzungsinitiative widerspiegeln: Tine Fuchs vom ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss, Christian Cordes der German Coworking Federation und Martin Schulze vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, sowie Christian Huttenloher vom Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung und Koordinator von „Gemeinsam für das Quartier“. In Bezug auf die präsentierten Beispiele machten die Podiumsteilnehmenden deutlich, dass eine Planung und Konzipierung von koproduktiven Prozessen anders organisiert werden muss als klassische Kooperationen. Zum stellten sie heraus, dass diese Projekte noch mehr strukturelle Unterstützung brauchen. Die Nationale Stadtentwicklungspolitik kann hierbei helfenden Zugang zu anderen Förderstrukturen zu erleichtern.
Durch Rental Pooling unrentable aber sozial wertvolle Projekte tragen
Tine Fuchs vom ZIA hob in der Diskussion hervor, dass bei dem vielbesprochenen Thema der Verstetigung die Wirtschaft nicht außenvorgelassen werden solle: „Das gehört für uns auch dazu, die Anschlussfinanzierung erfolgreicher Projekte“. Für die Schwierigkeit der Tragbarkeit solcher Projekte schlägt Tine Fuchs das Modell des „Rental Poolings“ vor. So können Flächen für einen geringeren Preis an Stadtmacher:innen und Kulturschaffende vermietet werden, die dann durch andere Mieten im Quartier quersubventioniert werden. Um interessante koproduktive Projekte umzusetzen, müsse aber auch die Multifunktionalität im Baugesetzbuch verankert werden. Bisher ist sie dort nicht abgebildet, was zu vielen Hemmnissen bei der Umsetzung solcher Projekte führt. Dieser Punkt wurde auch vom Publikum aufgegriffen: Der Bund habe die Möglichkeit die Gesetzgebungen anzupassen und solle diese nutzen. So könnte er beispielsweise Zwischennutzungen ohne Genehmigung erlauben oder Baugenehmigungen nur vergeben, wenn eine bestimmte Quote von gemeinwohlorientierten Nutzungen vorgesehen ist.
Mediator:innen als Unterstützung für koproduktive Projekte
Neben dem wirtschaftlichen Aspekt ist aber auch das gegenseitige Verständnis füreinander wichtig. „Was fehlt, ist ein Konzeptmediator, um herauszufinden, was der Anspruch der verschiedenen Branchen ist“, ergänzte Christian Cordes von der German Coworking Federation. In der Diskussion mit den Teilnehmenden wurde aber auch klar: Es braucht auch Mediator:innen, die Bürger:innen zusammenbringen, um bestimmte Themen der Bürger:innen als Gemeinschaft mit der Politik zu entscheiden.
Vernetzung und Wissensaustausch führen zu besseren koproduktiven Prozessen
Insgesamt wurde in den verschiedenen Beiträgen und der Diskussion deutlich, dass es – auch wenn noch viel zu ist – bereits viele funktionierende Kooperationen zu Gunsten einer aktivierenden koproduktiven und gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung gibt. Martin Schulze vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen sagte: „Man sieht, dass ein Umdenken in der Verwaltung sichtbar wird, das braucht es auch“. Nötig seien aber noch mehr Vernetzungswerkstätten, damit sich Projekte intensiver austauschen können. Das wolle der Bund in Zukunft noch besser unterstützen, so Schulze. Denn aus dem Austausch könnten wichtige Ableitungen und Anregungen für die Politik gezogen werden.