Kleinstädte (re-)aktivieren und gemeinsam gestalten
Die Kooperationsveranstaltung des Formats „Generationenfrage Gemeinwohl“ mit der Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ und der Kleinstadt Akademie rückte am 26. November 2025 die Chancen einer aktivierenden Kleinstadtentwicklung in den Mittelpunkt. Im Sinne des Formats „Generationenfrage Gemeinwohl“ wurden auf der Veranstaltung unterschiedliche Perspektiven der Kooperationspartner zusammengebracht, um ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit und Gemeinwohl zu entwickeln und Möglichkeiten für eine nachhaltige Entwicklung von Kleinstädten zu diskutieren. Rund 60 Teilnehmende aus Kommunen, Verwaltungen, Zivilgesellschaft, Hochschulen und Beratung kamen zusammen, um darüber zu diskutieren, wie Kleinstädte zukunftsfähig gestaltet werden können. Dabei ging es auch darum, die besonderen Stärken kleiner Städte, wie ihre überschaubaren Akteurskonstellationen und „kurzen Wege“ zu Entscheidungsträger:innen, zu nutzen, um pragmatische und unkonventionelle Lösungen für Herausforderungen zu entwickeln.
Strukturelle Benachteiligung von Kleinstädten
Zunächst gab Martin Arnold-Schaarschmidt von Plattform e.V. eine Einführung in die aktuellen Herausforderungen und strukturellen Blockaden mit denen kleinen Kommunen zu kämpfen haben. Die Forschung zu peripheren Orte zeigt deutlich: Besonders kleine und periphere Kommunen fehlen Ressourcen, Räume und Repräsentation. Doch gerade dort liegt enormes Potenzial für Kooperationen mit Stadtmachenden, wenn auf Augenhöhe gearbeitet, eine gemeinsame Sprache gefunden und so mit dem Vorhandenen Neues ermöglicht wird.
Diese Rahmenbedingungen gilt es mitzudenken, wenn wir fragen, wie sich lokale Initiativen und engagierte Akteur:innen so in Strategien einbinden lassen, dass sie nicht nur punktuelle Aktionen bleiben, sondern langfristig zur Entwicklung beitragen.
Kleinstädtische Ansätze zur Stärkung der Eigeninitiative und Mitgestaltung
Die Praxisbeispiele aus Brandenburg, Sachsen-Anhalt Thüringen und zeigten, wie Eigeninitiative und Mitgestaltung vor Ort wirksam gefördert werden können. Stephanie Kuntze, Fachbereichsleiterin und Stellvertretung des Bürgermeisters der brandenburgischen Stadt Herzberg (Elster) präsentierte die innovativen Ansätze der Stadt für mehr Beteiligung und Eigeninitiative. Die Stadt hat erkannt, dass Gemeinwohl nichts Abstraktes ist, sondern mit kleinen Schritten und den Menschen vor Ort beginnen muss. Niedrigschwellig werden daher Formate und Projekte umgesetzt, um insbesondere Menschen zu erreichen, die sich sonst nicht einbringen würden. Das Beispiel des Westbahnhofs zeigt, wie durch lokales Engagement, Mut, Pragmatismus und Kooperationen Räume in Kleinstädten mit negativen Prognosen neues Leben erhalten und zu Keimzellen des Gemeinwohls werden – mit der Stadtverwaltung als aktiver Partnerin und Mitgestalterin.
Reiner Schmidt und Helena-Maria Philipp von der Initiative „Stadt als Campus“ bzw. der Landesinitiative „Zwanzigtausend“ betonten die Potenziale junger Menschen und Bildungseinrichtungen als aktive Mitgestalter:innen der Kleinstadtentwicklung. Die sachsen-anhaltische Initiative „Zwanzigtausend“ verfolgt das Ziel, Stadtmachen-Initiativen sichtbar zu machen, junge und erfahrene Stadtakteure miteinander zu vernetzen und Projekte im Sinne einer „Stadt als Campus“ weiterzuentwickeln. Wie Hochschulen Impulse für die Entwicklung von Kleinstädten geben können, zeigten die Referierenden anhand konkreter Beispiele: In Bernburg entstand beispielsweise mit dem COI ein Coworking- und Eventspace der Hochschule Anhalt. Die Partnerschaft zwischen Hochschule, der ehrenamtlichen Initiative COI und der städtischen Wohnungsbaugesellschaft machte es möglich, einen Leerstand in der Innenstadt zu beleben und so die räumliche Distanz zwischen Campus und Stadtzentrum zu überbrücken. In Wernigerode im Harz verbindet das Café Lumaz, gegründet von Absolvent:innen der Hochschule Harz, Gastronomie mit Subkultur und kostenfreien Angeboten. In Zusammenarbeit mit der Hochschule, örtlichen Unternehmen und der städtischen Wirtschaftsförderung wird derzeit daran gearbeitet, einen weiteren und neuen Dritten Ort in Wernigerode zu schaffen.
Katja Fischer, Geschäftsführende Vorständin der Stiftung Baukultur Thüringen, zeigte auf, wie Mikrofinanzierung als wirksames Instrument Engagement, Experimentierfreude und Baukultur im Thüringer Alltag fördern kann. Mit der erstmals 2025 ausgelobten Mikroförderung setzt die Stiftung auf unkomplizierte Unterstützung lokaler und regionaler Baukultur-Aktivitäten. Das Programm stieß auf großes Interesse: 39 Anträge wurden eingereicht, zehn Projekte ausgewählt und mit insgesamt 10.000 Euro gefördert. Dabei geht es nicht um große Summen, sondern um Impulsfinanzierung als Form der Wertschätzung, die lokales Engagement sichtbar macht und stärkt und gleichzeitig Anstoß für größere Transformationsprozesse geben kann. Im Rahmen der aktuellen Förderung erfolgte u.a. die Unterstützung für eine Bauwerkstatt, für Workshops, die Unterstützung für Erzählcafés sowie für eine Ausstellung zum Lebens- und Arbeitsalltag in einer Gasmaschinenzentrale in Unterwellenborn.
Die Aktivierung regionaler Kompetenzen, vielfältige Kooperationen, professionelles Community-Management und die Umsetzung langfristiger Projekte sind entscheidende Erfolgsfaktoren. Das bestätigt auch Praxiskoordinatorin Lisa Hahn von der Montag Stiftung Urbane Räume. Mit ihrer Initiative „Initialkapital“ verfolgt die Stiftung das Ziel, in benachteiligten Stadtteilen brachliegende Immobilien zu sanieren und durch langfristige Erbbaurechtsverträge sowie die Gründung gemeinnütziger Projektgesellschaften wirtschaftlich tragfähige Orte zu schaffen. Die erwirtschafteten Überschüsse fließen dauerhaft in lokale Gemeinwesenarbeit und fördern Teilhabe vor Ort. Dazu wurde die Plattform „Gemeinwohl bauen praktisch“ entwickelt, die kostenfrei erprobte Werkzeuge, Mustervorlagen und Methodenwissen aus der Projektarbeit nach dem Initialkapital-Prinzip zur Verfügung stellt.
Partnerschaften mit privaten Eigentümer:innen
Im zweiten Teil legte Alexander Blazek von Haus & Grund Schleswig-Holstein e.V. den Fokus auf die Rolle der privaten Eigentümer:innen für Kleinstädte. Klar wurde: Die Kooperation zwischen privaten Eigentümer:innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen hat in Kleinstädten Potential und könnte insbesondere dem Leerstand in vielen Orten entgegenwirken. Lokale Verbände wie Haus & Grund könnten hierbei eine vermittelnde Rolle einnehmen. Welche Aufgaben die Ortsvereine übernehmen können, hängt jedoch stark von den jeweiligen Rahmenbedingungen ab: beispielsweise von den handelnden Personen, der Größe des Vereins und dem Problembewusstsein vor Ort. Die Rolle muss daher individuell in jeder Stadt identifiziert werden. Es lohnt sich immer, den Kontakt zum örtlichen Verein zu suchen und Themen aktiv einzubringen. Die Ortsvereine sind in der Regel gut mit lokalen Eigentümer:innen vernetzt und können so Brücken zwischen privaten Akteuren und Initiativen schlagen.
Zuletzt appellierte Praxiskoordinator Dr. Paul Kowitz an die politische Verantwortung für Länder und Kommunen, die Bedürfnisse finanzschwacher Kleinstädte, auch in der Verteilung des Sondervermögens Infrastruktur, stärker zu berücksichtigen. Darüber hinaus stellte er zentrale Fragen zur Diskussion: Wie lassen sich Flächen für Zwischennutzungen langfristig finanzieren? Inwiefern ist eine Monetarisierung solcher Flächen legitim? Und wie können gemeinwohlorientierte Projekte in Kleinstädten dauerhaft bestehen, insbesondere vor dem Hintergrund möglicher Re-Gentrifizierungsprozesse in revitalisierten Zentren?
Ausblick
Reiner Schmidt, der neben seinem Engagement in der Initiative Stadt als Campus auch Teil des Moderations- und Koordinationsteams der Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ ist, zog abschließend Bilanz aus fünf Jahren Vernetzungsarbeit. Seine zentralen Erkenntnisse: In allen betrachteten Handlungsfeldern ist es elementar, etablierte Akteure mit neuen Partnern zusammenzubringen. Positiv hob er hervor, welche Vernetzungen tatsächlich funktioniert haben und Potenzial für die Zukunft bieten. Dazu gehören projektbezogene Kooperationen, Partnerschaften mit kulturellen Einrichtungen sowie die Zusammenarbeit mit Landes- und Bundesinitiativen. Die Initiative „Zwanzigtausend“ in Sachsen-Anhalt wird den Austausch zur Aktivierung der jungen Generation noch bis weiterführen. Zudem wird derzeit ein Bundesnetzwerk „Dritte Orte“ ins Leben gerufen – ein weiterer Schritt, um Räume für Begegnung und gemeinschaftliches Engagement zu stärken.
Die „Generationenfrage Gemeinwohl“ ist ein Online-Dialogformat des Deutschen Verbands für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V., das unterschiedliche Akteure und Generationen zu Fragen von Gemeinwohl und ganzheitlicher Nachhaltigkeit in Wohnungswesen und Stadtentwicklung zusammenführt. Die Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ bringt etablierte wie neue Akteure der Stadtentwicklung zusammen, um durch Vernetzung und Partnerschaften eine kooperative und gemeinwesenorientierte Entwicklung von Quartieren, Stadtzentren, ländlichen Räumen und Kleinstädten zu fördern. Die Kleinstadt Akademie ist eine bundesweite Netzwerk- und Austauschplattform, die Kleinstädte sowie Akteure aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Praxis verbindet, um Ressourcen zu bündeln und gemeinsame Antworten auf aktuelle Herausforderungen zu entwickeln.