Perspektivenwerkstatt 4 & Praxiswerkstatt 1

25.10.2021
10:30 - 18:30
Und 26.10.2021 10:00 - 15:00 Uhr Mannheim
Und 26.10.2021 10:00 - 15:00 Uhr Mannheim
STADTENTWICKLUNG PERFORMATIV
Geladene Expertenrunde im Rahmen des Festivals inomake2021! Veranstaltungspartner: NEXT MANNNHEIM

Thema

Die Zukunft der aktivierenden Stadtentwicklung ist performativ: Stadtentwicklungsprozesse werden als kulturelle Prozesse gestaltet und erlebbar gemacht. Die Stadt selbst wird dabei zur Bühne: für die Transformation von Stadtgesellschaften, Lebensstilen, Wohn- und Arbeitsformen – und für die Weiterentwicklung ihrer Orte, ihrer Organisations-, Kooperations- und Governance-Strukturen.

So die Vision einer Reihe von Stadtmacherinnen und Stadtmachern sowie Protagonist:innen des wachsenden Netzwerkes der Nationalen Stadtentwicklungspolitik „Gemeinsam für das Quartier“. Sie plädieren dafür, experimentelle Formate performativer Stadtentwicklung aufzugreifen, als Bausteine aktivierender Stadtentwicklung weiterzuentwickeln und in den Kontext einer kulturellen Stadtentwicklung zu stellen. Hier und da – so auch in Mannheim – zeichnen sich Konturen solcher kulturell orientierten Stadtentwicklungsprozesse bereits ab; erste Netzwerke formieren sich.

Die Akteure sind kreative Stadtmacher:innen aus den bildenden und performativen Künsten, aus Kultur, Kreativwirtschaft und Zivilgesellschaft. Sie haben in der Zusammenschau ein beachtliches Repertoire an aktivierenden und performativen Formaten entwickelt und erprobt.

Zum state of the art

Die bisher entwickelten und erprobten performativen Formate sind vielfältig. Sie haben seit den 1980er Jahren immer wieder für Aufmerksamkeit gesorgt. Z.T. wurden sie bereits in den Kontext einer aktivierenden Stadtentwicklung gestellt oder aus diesem Kontext heraus entwickelt. Das Spektrum reicht vom abendlichen Hofkonzert im gemeinschaftlich gestalteten Hinterhof über vielfältige temporäre Interventionen im öffentlichen Raum und eine breite Palette von zeitlich befristeten Leerstandsbespielungen bis hin zu mehrtägigen Living Labs zur Erprobung neuer Nutzungsformen und Nutzungsmischungen im Rahmen von Projektentwicklungs- und Transformationsprozessen.

Programme kultureller Einrichtungen und künstlerischer Communities gehen mit ihrem kulturellen und gesellschaftlichen Auftrag und Ansatz häufig ganz eigene Wege. Besonders öffentlichkeitswirksam sind kulturelle Programme häufig dann, wenn sie in themenzentrierten Veranstaltungsreihen – z.B. über eine ganze Spielzeit hinweg - gebündelt werden. Besonders interessant für die Anliegen der Vernetzungsinitiative sind dabei solche Programme, die darauf angelegt sind, vor Ort mit künstlerischen Mitteln und in performativen Formaten Reflexionsprozesse zu relevanten gesamtgesellschaftlichen oder gesamtstädtischen Fragen, Phänomenen und Entwicklungen anzustoßen. Perspektivisch besonders vielversprechend wird es aus Sicht der Vernetzungsinitiative dann, wenn solche Programme in vor Ort anstehende oder laufende gesamtstädtische Entwicklungsvorhaben oder Projektentwicklungen eingebunden sind, wenn sie solche Vorhaben zum Anlass nehmen oder wenn sie ganz bewusst in deren Kontext gestellt werden.

Darüberhinaus zielen performative Formate z.B. von Theatern oder künstlerischen Communities auch darauf ab, nicht nur Meinungsbildung und Diskurs zu befördern; z.T. wollen sie noch ein Stück weiter gehen und Raum und Anlass für Community-Building sowie eigendynamische zivilgesellschaftliche Initiativen bieten (z.B. spektakuläre Projekte von raumlabor berlin wie „Küchenmonument“ oder „Eichbaumoper“, das Programm STADT-THEATER von Ulrike Hatzer und dem Braunschweiger Staatstheater in 2012/2015 oder das Programm X-SHARED SPACES der Münchner Kammerspiele 2016/2018).

Performative Stadtentwicklung - ein Handlungsschwerpunkt der Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“

Symbolträchtige Schlüsselimmobilien sowie öffentliche und informelle Stadträume sind bevorzugte Experimentierfelder und Schauplätze solcher Ansätze. Innenstadtstrategien und ein aktivierendes, integrierendes Transformationsmanagement greifen solche Ansätze mit den ihnen eigenen Dynamiken auf und integrieren sie in aktivierende, kooperative, eigendynamische Prozesse der Stadtentwicklung. Im Ergebnis entstehen dabei aus Sicht der Vernetzungsinitiative im Idealfalle neue kulturelle, künstlerische oder auch kreativwirtschaftlich orientierte Formate mit deutlichem Bezug zu aktuellen stadt- und gesellschaftspolitischen Entwicklungsfragen.

Die Vernetzungsinitiative greift diese Entwicklungen auf, knüpft daran an und will dazu beitragen, synergetische Formate zu entwickeln, zu befördern und sie zu konstituierenden Elementen einer aktivierenden Stadtentwicklung werden zu lassen. Im Zusammenspiel mit den Partner:innen des Netzwerkes sollen auf der Basis einer Typologie bisheriger Handlungsansätze gemeinsam mit interessierten Netzwerkpartner:innen weiterführende Formate für die in der Vernetzungsinitiative priorisierten Handlungsfelder

  • „Innenstadtstrategien“,
  • „Quartiersentwicklung“ sowie
  • „Strategien in kleinen Städten und ländlichen Regionen“

entwickelt und erprobt werden.

Ziele bei Erschliessung performativer Handlungsansätze

Mit der Erschliessung der Potenziale performativer Handlungsansätze sind insbesondere zwei Ziele verbunden:

1. Zentrales Anliegen ist die Integration performativer Formate als strukturwirksame Elemente in Prozesse aktivierender, kooperativer, gemeinwesenorientierter Stadtentwicklung - sowohl auf der Ebene des gesellschaftspolitischen und stadtentwicklungspolitischen Diskurses vor Ort als auch auf der Ebene der Meinungsbildung, „Horizonterweiterung“, Partizipation, Teilhabe und Aktivierung zivilgesellschaftlichen Engagements im Kontext konkreter Vorhaben und Massnahmen - seien sie nun top-down veranlasst oder bottom-up entwickelt. Den stadtentwicklungspolitischen sowie gesellschaftspolitischen Rahmen liefern dabei die Grundgedanken einer kulturellen Stadtentwicklung.

2. Weiterhin geht es auch um die Erschliessung der häufig zu beobachtenden besonderen gesellschaftspolitischen Effekte und Wirkungen perfomativer Formate im Sinne des sozialen Miteinanders sowie der unkomplizierten, offenen Begegnung und des Community-Building. Bemerkenswert ist die aktivierende, visionäre Kraft und Begeisterung, die performative Formate anstoßen und auslösen können. So wurde in vielen vorlaufenden STADT-ALS-CAMPUS-Projekten ein über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg sich einstellendes Klima des Aufbruches und der Handlungsorientierung häufig zum massgeblichen Erfolgsfaktor für eine erfolgreiche, eigendynamische Projektentwicklung.

Fokus der Werkstatt „Stadtentwicklung: Performativ“

Die zweitägige Werkstatt „Stadtentwicklung performativ!“ am 25./26. Oktober 2021 ist nach vorlaufenden Studien und nach der Auseinandersetzung mit experimentellen Formaten ein weiterer wichtiger Schritt auf diesem Weg. Die Werkstatt ist zugleich Perspektiven- und Praxiswerkstatt – sie lotet zum einen das Themenfeld und die aufzugreifenden Fragestellungen aus und sie verdichtet zum anderen konkrete Handlungsansätze aus Sicht der hier vertretenen Akteure. NEXT MANNHEIM und Mannheimer Kreativ- und Kulturschaffende sind bundesweit Vorreiter bei der Erprobung performativer Formate und deshalb ideale Veranstaltungspartner.

Den ersten Tag kuratiert Ulrike Hatzer, Dozentin am Mozarteum Salzburg, als Perspektivenwerkstatt. Im Mittelpunkt stehen Perspektiven und Handlungsansätze aus dem Blickwinkel der performativen Künste. Den zweiten Tag gestalten Anna Blaich und Dr. Matthias Rauch, NEXT Mannheim, als Praxiswerkstatt vor Ort. Ziel ist die Entwicklung konkreter Positionen, Praktiken und performativer Formate für die Aktivierung der Multihalle und ihre Ausstrahlung in Stadt und Quartier.

Ausblick

Im Ergebnis der Mannheimer Perspektiven- und Praxiswerkstatt, nach vorlaufenden und ergänzenden Gesprächen sowie vertiefenden Recherchen werden im Zusammenwirken mit interessierten Partner:innen der Vernetzungsinitiative perspektivische Handlungsansätze für eine aktivierende Stadt- und Immobilienentwicklung diskutiert. Eine erste Zwischenbilanz soll zum Jahresende 2021 im Rahmen einer Netzwerkkonferenz der Vernetzungsinitiative erfolgen. Für das Jahr 2022 sollen im Zuge der avisierten Fortsetzung der Vernetzungsinitiative weiterführende Initiativen, Programme und Projekte auf den Weg gebracht werden. Mittelfristiges Ziel ist es, performative Stadtentwicklung als konstituierendes Element und als Leitmotiv einer aktivierenden, kooperativen und gemeinwesenorientierten Stadtentwicklung zu kultivieren und handlungsorientierte Netzwerke zu initiieren und zu stärken.

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Agenda

TAG 1 – Montag, 25.10.2021

ab 10 Uhr

Anreise – Check-in

Multihalle Mannheim – Max-Joseph-Straße 64, 68169 Mannheim

 

10:30 - 10:45 Uhr

Endlich! Begrüßung & Teamvorstellung

Reiner Schmidt, Stadt als Campus

Matthias Rauch und Anna Blaich, NEXT MANNHEIM

10:45 - 11:30 Uhr

MULTIHALLE - DEMOCRATIC UMBRELLA

Ortsbegehung Multihalle

11:30 - 12:30 Uhr (inkl. 15 Minuten Q/A)

IMPROVISATION OF SPACE

Christopher Dell, Städtebau- und Architekturtheoretiker, Komponist, Musiker

 

12:30 - 12:45

Fahrt mit einem Bus-Shuttle zum gig7

12:45 - 13:30 Uhr

Mittagsessen im gig7 – G 7, 22, 68159 Mannheim

13:30 - 13:40

Ortswechsel zum Musikpark Mannheim – Hafenstraße 49, 68159 Mannheim

13:40 - 14:00 Uhr

Musikpark Mannheim – Hafenstraße 49, 68159 Mannheim
Performanceraum 4.OG

Die nächsten zwei Tage - was tun wir da? … neue Netzwerke!

Reiner Schmidt, Stadt als Campus und Matthias Rauch, NEXT MANNHEIM

Erste Annäherung: Stadtentwicklung: Performativ – echt jetzt?

Ulrike Hatzer, Stadt als Campus & Mozarteum Salzburg


14:00 - 15:00 Uhr (inkl. 15 Minuten Q/A)

IM PROVISORISCHEN IMPROVISIEREN.

GEDANKEN ZU EINER INTERDISZIPLINÄREN PRAXIS

Margit Schild, Künstlerin, Filmemacherin, Ingenieurin für Landschafts-

und Freiraumplanung

 

15:00 - 16:30 Uhr

Meetingräume Musikpark Mannheim und C-Hub

parallele Impulse/Workshops

DAS HINSPIEL - künstlerisch-performative Positionen & Praktiken

(1)    Die Kunst des Weglassens/mit der U-Bahn nach Syros.
        Esther Strauss, Performance- und Sprachkünstlerin

         (Vor-Ort-Partner*in: Julian Maier-Hauff)

(2)    Strategien des Ortsspezifischen.
        Claudia Seigmann, Theater, Performance, Community Arts

         (Vor-Ort-Partner*in: Matthias Rauch)

(3)    Performative Statistik: Büro für Wunsch-Werte (er)zählt (in) Mannheim.
         Das_Explorativ, vertreten von Judith Franke und Lisa Großmann (Performance, Community Arts)

        (Vor-Ort-Partner*in: Anna Blaich)

16:30 - 17:00 Uhr

Kaffeepause

 

17:00 - 18:00 Uhr (inkl. 15 Minuten Q/A)

Performanceraum 4.OG

WAS KANN DAS LAND, WAS DIE STADT NICHT KANN?

Tina Heine, Festivalintendantin, Kuratorin, Gastgeberin

18:00 - 18:30 Uhr

Stadtentwicklung: Performativ? Irritationen, Möglichkeiten, Zukünfte.

Reflexionen in der Fishbowl mit allen Referent:innen und Teilnehmenden.

Moderation: Ulrike Hatzer, Stadt als Campus & Mozarteum Salzburg

 

18:30 - 19:30 Uhr

Zeit zur freien Verfügung

19:30 Uhr

Gemeinsames Abendessen, Beginn Menü

TAG 2 – Dienstag, 26.10.2021

10.00 - 10:30 Uhr

Multihalle Mannheim – Max-Joseph-Straße 64, 68169 Mannheim

Guten Morgen! Recap des Vortags und wie es weiter geht.

Ulrike Hatzer, Stadt als Campus  & Mozarteum Salzburg

und Anna Blaich, NEXT MANNHEIM

10.30 - 12:00 Uhr

DIE MULTIHALLE UND IHRE ANGRENZENDEN QUARTIERE

Begehung der Quartiere Herzogenried und Neckarstadt West mit Kennenlernen ihrer Strukturen und Bedarfe an die Multihalle (Quartiermanagements und NEXT Mannheim)

12.00 - 13.00 Uhr

Mittagessen im Cubex ONE – Franz-Volhard-Straße 5, 68167 Mannheim

13.00 - 14.30 Uhr

Cubex ONE – Franz-Volhard-Straße 5, 68167 Mannheim

Impulse/Workshops: DAS RÜCKSPIEL – Positionen & Praktiken für die Multihalle

(im Sinne des Urban Design Thinking)

(1)   Werkstatt 1 mit Matthias Rauch, NEXT MANNHEIM

        (Kreativ-Partner*in: Claudia Selgmann)

(2)   Werkstatt 2 mit Julian Maier-Hauff, NEXT MANNHEIM

        (Kreativ-Partner*in: Esther Strauß)

(3)    Werkstatt 3 mit Anna Blaich, NEXT MANNHEIM

       (Kreativ-Partner*in: das_Explorativ)

14:30 - 15.00 Uhr

Feedback aus den Werkstätten

15.00 Uhr

Verabschiedung und Ausblick

Reiner Schmidt, Stadt als Campus

Matthias Rauch und Anna Blaich, NEXT MANNHEIM

report

Ergebnis

Performative Künste als Horizonterweiterung und Gemeinschaftsbildung in der Stadtentwicklung


Werkstattbericht der Perspektiven- und Praxiswerkstatt am 25.–26. Oktober 2021 „Stadtentwicklung: Performativ!“ in Mannheim

Wie können die Innenstädte und Wohnquartiere der Zukunft aussehen? Wie wollen wir zukünftig leben, wohnen, arbeiten? Mögliche Ansätze der Stadt von morgen nicht nur zu diskutieren, sondern sie auszuprobieren, zu zeigen und erlebbar zu machen, ist das Ziel der „performativen Stadtentwicklung“. Leerstände in Immobilien und brachliegende Freiflächen sind nicht nur ungenutzte Potenziale, sie bergen auch die Gefahr eines Imageverlustes des Standorts und sind somit erste Signale einer möglicherweise drohenden Abwärtsspirale. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen Akteurinnen und Akteure aus Kunst, Theater, Kultur und Kreativwirtschaft diese Räume nutzen durften und so zu ihrer Wiederbelebung und zur Stabilisierung des Standortimages beigetragen haben. Beispiele hierfür finden sich in unterschiedlichen räumlichen Kontexten: in Innenstädten, Wohnquartieren, in Kleinstädten und im ländlichen Raum.

Wie genau können nun aber performative, künstlerische und experimentelle Formate zu einer aktivierenden Stadt- und Ortsentwicklung beitragen? Darum ging es bei der Perspektiven- und Praxiswerkstatt „Stadtentwicklung: Performativ!“ der Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ am 25. und 26. Oktober 2021 in Mannheim. Als Praxisbeispiel diente die Mannheimer Multihalle, die Frei Otto und Carlfried Mutschler 1975 für die damalige Bundesgartenschau erbaut haben und die seit einigen Jahren leer steht. Die Teilnehmenden setzten sich damit auseinander, wie die Transformation der Multihalle in Mannheim unter Einbezug der lokalen Akteur:innen und im Kontext der umliegenden Quartiere mit den Impulsen und Qualitäten performativer Formate gelingen kann. Am ersten Tag der Werkstatt gaben performative Künstler:innen unter der künstlerischen Leitung von Ulrike Hatzer, Dozentin am Mozarteum Salzburg, Einblick in einige ihrer Werke und Strategien. Am zweiten Tag leitete Dr. Matthias Rauch von NEXT MANNHEIM in die kommunale Praxis über: Für die Transformation der Multihalle und ihre wirkungsvolle Ausgestaltung für Stadt und Quartier wurden Positionen, Praktiken und performative Formate diskutiert.

„Wir machen das jetzt mal so“! Räume für Improvisation und Kreativität

Einleitend führte der Städtebau- und Architekturtheoretiker, Komponist und Musiker Christopher Dell theoretisch und praktisch in das Thema der Improvisation von Raum ein. Akteur:innen der Stadtentwicklung sollten sich seiner Ansicht nach neue Formate jenseits klassischer Beteiligungsformate überlegen, um Improvisation zuzulassen. Dafür sei es grundlegend sich mit dem Ist-Zustand auseinanderzusetzen, denn es gehe nicht darum, Neues zu erfinden, sondern Bestehendes sichtbar zu machen. Als berühmtes architektonisches Beispiel für genau dieses Vorgehen nennt er den Tour Bois-le Prêtre in Paris. Anstatt eines Abrisses des Hochhauses bauten die Architekt:innen Anne Lacaton, Jean-Philippe Vassal und Frédéric Druot eine zweite Glasfassade vor das Gebäude. Bewohnende behielten so ihre Wohnung, haben aber nach dem Umbau mehr Raum zur Verfügung. Dadurch wurde das Gebäude saniert und aufgewertet. Auch während der Umbauarbeiten blieb das Hochhaus bewohnbar. Für Planungsämter und Kommunen ist die Praxis der Improvisation im Rahmen von reglementierten Stadtbau-, Umbau- und Sanierungsvorhaben neu, ihr Einsatz müsste noch – dort wo möglich – implementiert und generell eingeübt werden: „Wir brauchen Übungsräume, in denen wir die Improvisation üben, und zwar strukturiert, sonst enden wir im Gedaddel“. Hierzu gehört es insbesondere die Sprache der verschiedenen Akteur:innen verstehen zu lernen. Wie auch in der Improvisation in der Musik, ist dies eine Frage des gemeinsamen Tuns oder Übens, weswegen Investitionen in einen häufigeren Austausch der verschiedenen Akteur:innen, der das gegenseitige Verständnis fördert, sich durchaus langfristig lohnen.

Neben der Kommunikation kann im Improvisieren auch der Umgang mit unsicheren, ergebnisoffenen Situationen geübt werden, darin sind sich Dell und die Künstlerin, Filmemacherin und Ingenieurin für Landschafts- und Freiraumplanung Margit Schild einig. Sie stellte zudem dar, dass Improvisation nicht an bestimmte Disziplinen oder Kontexte gebunden ist, sondern eine interdisziplinäre Praxis ist, die insbesondere durch den Faktor Zeit beeinflusst wird. Außerdem betont sie, dass Improvisation, die aus der Not wächst, also Fehlentwicklungen repariert, nicht das Ziel in Stadtentwicklungsprozessen sein sollte. Stadtentwicklungsprozesse sollten eher im Kontext von Beteiligung, Ideenfindung und Kommunikationsangeboten „Rahmenbedingungen für wirklich kreative Räume und Improvisation bieten“, erklärt sie.

Strategien von Sichtbar-Machen: Das Wissen der Bewohner:innen um ihre Stadt

Ulrike Hatzer sieht die Rolle der Künstler:innen und Stadtplaner:innen im Zusammenhang mit der performativen Stadtentwicklung als „Anbahner:innen, Beobachter:innen und Fänger:innen“. In diesem Sinne versteht sie auch die drei von ihr ausgewählten künstlerisch-performativen Inputs. Grundlegend ist für die Künstler:innen der Respekt vor dem Alltagswissen von Bürger:innen und Anwohner:innen und dieses zur Kenntnis zu nehmen und sichtbar werden zu lassen.

Durch den Beitrag der Performance- und Sprachkünstlerin Esther Strauß machten sich die Teilnehmenden das Vorhandensein und die Bedeutung von Lücken im Stadtraum bewusst, denn gerade sie öffnen Räume für Partizipation. Sie ging der Frage nach, wie Lücken so gestaltet werden können, dass sie Menschen dazu verlocken, sie einzunehmen und zu bespielen. Inwiefern kann zum Beispiel ein Kronleuchter anstatt einem gängigen Laternenmast in einem Neubaugebiet den leeren Raum darunter in einen Treffpunkt oder z. B. Tanzraum verwandeln? Die abstrahierte Frage dahinter lautet: Inwiefern kann Gestaltung die Nutzung eines Raumes beeinflussen?

Das Kollektiv „Das_Explorativ“, vertreten von Judith Franke und Lisa Großmann aus den Performance- und Community-Künsten, macht Teilnehmende zu Beobachter:innen ihrer Umgebung. Zusammen zählten sie verschiedene, selbst ausgewählte Dinge bei einem Spaziergang durch ein Stadtviertel, erforschten und erfassten dabei mit „fremdem“ Blick auf den Stadtraum die Gegend. So konnte das Zählen von Menschen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten, über dessen Qualität Auskunft geben, die Menge der Zigarettenstummel oder Kürbiskernschalen neben Bänken lässt Rückschlüsse auf die Sauberkeit und Nutzung des Platzes sowie die Verweildauer der Menschen zu. Gleichzeitig regen Sie Nutzer:innen dazu an, die gefundenen Zahlen zu überprüfen und ggf. bei der Stadt eine Korrektur zu verlangen (z. B. bei der Anzahl an Mülleimern, Sitzbänken oder auch dem Takt des ÖPNV).

Claudia Steigmann, die im Bereich Theater, Performance und den Community Arts tätig ist, stellte Audiowalks durch die Zukunft der Städte Salzburg, Wien und Linz vor. Via Kopfhörer werden Teilnehmende durch einen Stadtraum geführt, wie er im Jahr 2050 sein könnte. Dabei werden ortspezifische Themen aufgegriffen, wie das städtische Mobilitätsnetzwerk und Möglichkeiten lokaler demokratischer Teilhabe. Um Zukunft zu denken, brauchen wir die Vorstellungskraft dafür, dass es auch ganz anders sein könnte. Hier spielt also das Fangen von bewusstem und unbewusstem Wissen über die eigenen (zukünftigen) Lebensräume eine Rolle.

Ein besonderes Format der künstlerischen Intervention im Stadtraum ist das Festival, in das Tine Heine mit ihrem Beitrag Einblick gewährte. Als Festivalintendantin und Kuratorin stellte sie dar, wie sie durch die Entwicklung des ELBJAZZ Festivals in Hamburg lernte, wie eine Stadt funktioniert und wie man kulturelle Veranstaltungen in einer Stadt etablieren kann: „Ich verstand, mit wem man reden muss, um sowas umzusetzen und auch wer über das Bild der Stadt bestimmt“. Das ist insofern wichtig, als Festivals das Image einer Stadt nicht nur nach außen verändern, sondern auch für die Bewohnenden selbst. Anhand des „Jazz & The City“ Festivals in Salzburg, bei dem sie als Intendantin wirkte, machte sie deutlich, wie das Bespielen öffentlicher Plätze, Wiesen oder kleiner Gassen den Stadtraum verändern kann. Auch hier spielt das Wissen der Bewohnenden in Bezug auf die Musik aber auch auf die Stadt eine Rolle. So erklärt sie: „Es ging auch darum, das Wissen, das in der Stadt schon existiert, mit in das Festival zu holen“.

Ideen für gemeinwohlorientierte und ortsbezogene Nutzungen in der Multihalle in Mannheim

Am zweiten Tag wurden die Teilnehmenden anhand des Beispiels der Multihalle in Mannheim in die Praxis geleitet. Vor dem Hintergrund der künstlerisch-performativen Strategien und Qualitäten, von denen einige beispielhaft in den Beiträgen der Künstler:innen des Vortags sichtbar wurden, gab es Führungen durch die Umgebung der Multihalle, nämlich die Wohnanlage des sozialen Wohnungsbaus der Herzogenried-Siedlung und das als Problemviertel geltende Neckarstadt-West mit dem Quartiersmanagement der beiden Quartiere.

Vor dem Hintergrund der Eindrücke aus den Spaziergängen und den Überlegungen zu den künstlerisch-performativen Strategien entwickelten die Teilnehmenden in der anschließenden Diskussion vier Ideen für konkrete Nutzungen der Multihalle. So wurde zum Beispiel vorgeschlagen, den oberen Teil der Multihalle unbespielt zu lassen, um sich bewusst von den daraus entstehenden Nutzungen überraschen zu lassen. Die komplette Durchplanung von Orten zeigt immer wieder, dass kreative Prozesse so nicht zu befördern sind. Das Anliegen der Workshopteilnehmenden war also im praktischen Sinne ein Mut zur Lücke, um kreativen Ideen und Menschen Raum zur Entfaltung zu lassen.

Eine weitere Idee, die diesen Gedanken konkreter umsetzt, war es, die Multihalle vor ihrer geplanten Bespielung ab 2024 als Ort für ein interdisziplinäres „Artist in Residence“-Programm zu nutzen. Künstler:innen könnten die Multihalle räumlich erforschen und mit Formaten experimentieren. Durch diese Methode könnte beispielsweise erarbeitet werden, ob sich naheliegende Nutzungen aus dem Gebäude und seinem Kontext direkt ableiten lassen: „Es geht darum sichtbar zu machen, was schon da ist, aber nicht erkannt wird und damit weiterzudenken“, betont Esther Strauß.

Daneben wurde der Gedanke diskutiert, die Halle als offenes Wohnzimmer für alle Bürger:innen ohne Konsumzwang zu bespielen. Sofas, Pflanzen, eine mobile Küche sowie ein öffentliches W-LAN und Möglichkeiten zum Musikhören könnten eine entsprechende Atmosphäre herstellen. Die offene Struktur der Multihalle ist dabei ebenfalls förderlich, da von außen das Geschehen im Inneren sichtbar wäre. Wichtig ist hierbei die Frage nach der Rolle der Moderation solch eines Gemeinschaftsraums, damit auch gemeinsame Aktionen koordiniert werden, oder wie kollektive Verantwortung für so einen Raum gelingen kann.

Um die Nachbarschaft der Multihalle einzubeziehen, gab es Vorschläge, einen Teil des Raums für eine „Auto-Tuning“-Werkstatt zu nutzen, in der die eigenen Autos selbst optimiert werden können. Dafür könnte es öffentliche Kurse und Wettbewerbe geben aber auch Tauschbörsen und Ersatzteillager. Anwohnende, die sich mit Autos besonders gut auskennen, könnten als Expert:innen in der Werkstatt aushelfen.

Die Ideen für die Multihalle zeigen klare Tendenzen: Für die Bespielung geht es einerseits darum, die Multihalle als Raum selbst in den Blick zu nehmen und ihr Potenzial zu fördern, andererseits geht es darum, die Menschen im Umfeld mitzunehmen und teilhaben zu lassen. Diese angedachten Nutzungen sind in Bezug auf die Tragfähigkeit nicht einfach umsetzbar, denn die Stadt Mannheim steht auch vor der Herausforderung, die notwendige kostspielige Instandsetzung und dauerhafte Instandhaltung und Bewirtschaftung durch Erträge zu schultern. Aber genau deswegen ist ein Austausch zwischen den verschiedenen Akteur:innen wichtig. So könnten im weiteren Vorgehen Nutzungsmischungen überlegt werden, die sich gegenseitig tragen, wie die Gastronomie in Kombination mit gemeinwohlorientierten Nutzungen, oder Akteur:innen ins Boot geholt werden, die eine Finanzierung gewährleisten können.

Zusammenarbeit zwischen Künstler:innen, Kreativschaffenden und Stadtentwicklung stärken

Insgesamt wurde bei der Werkstatt deutlich, wie wertvoll, aber auch anspruchsvoll diese Zusammenarbeit zwischen Stadtentwicklung und Künstler:innen ist. Die unterschiedlichen Sprachen, die die verschiedenen Akteur:innen sprechen, und die differierenden Denklogiken, aus denen Aktivitäten entwickelt werden, sind aber durchaus Teil des Mehrwertes dieser Zusammenarbeit. Der unterschiedliche Umgang mit dem Stadtraum fördert unterschiedliche Qualitäten zutage, die wiederum auf ganz verschiedene Weisen in die Stadtgesellschaft kommuniziert werden. Ein großes Plus auf Seiten der Künstler:innen sind die Zeit zum Hinschauen, ein unabhängiger Blick und die „Zweckfreiheit“ von Kunst. Allem voran ist die so umgesetzte Kunst ein Kommunikationsangebot. Diese kreative Freiheit in der Umsetzung im stadtplanerischen Regelwerk unter den Bedingungen einer notwendigerweise an demokratisch legitimierte Verfahren und Verordnungen gebundene Stadtverwaltung oder auch unter Verwertungskontexten des Immobilienmarktes zu wahren ist schwierig. Allerdings verschieben mitunter gerade die Ideen, die auf Dauer nicht realisierbar sind, die Maßlosigkeiten und Übertreibungen der Kunst, den Rahmen für das Denkbare. Sie geben vielleicht eine ganz neue Richtung zur Ideensuche vor, involvieren neue Akteursgruppen, etablieren Nutzungen auf Orten, die nicht nutzbar schienen, sammeln Daten und entwickeln daraus eine ganz eigene Stärken-/Schwächen-Analyse, probieren einfach mal aus. Sie wagen Großes, und sei es auch nur für den Moment. So loten sie von der Seite des Maximalen aus, was tatsächlich umsetzbar ist – und das ist manchmal sehr viel mehr als zunächst gedacht.

So fordernd eine solche Zusammenarbeit sein kann, so lohnend ist sie für eine aktivierende, kooperative und gemeinwesenorientierte Entwicklung unserer Quartiere, Stadtzentren, ländlichen Räume und Kleinstädte. Dafür muss auch in Zukunft die Win-Win-Situation für alle Beteiligten sensibel kommuniziert, zwischen den Welten „übersetzt“ und vermittelt werden, um gegenseitige Vorbehalte und Missverständnisse abzubauen. Es geht um eine Zusammenarbeit zwischen Akteur:innen aus der Stadtentwicklung und Künstler:innen, darum ins Gespräch zu kommen, um Quartiere für alle lebenswerter zu gestalten. Die Ideen von Kreativschaffenden und Künstler:innen können dabei wichtige Impulse für Veränderungen geben. Das Netzwerk „Gemeinsam für das Quartier“ will diese Zusammenarbeit stärken, sodass alle Akteur:innen an einem Strang ziehen.

Abbildungen

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Christoph Asmus, Artworkfoto, Ilvesheim und plan zwei