Grafik: Landmarken AG

Immobilienwirtschaft zur gemeinwesenorientierten Transformation von Handelsimmobilien

Thomas Binsfeld (Landmarken AG), Dr. Joseph Frechen (bulwiengesa AG)

Die Innenstädte wandeln sich. Der Transformationsprozess ist längst im Gange, die Corona-Pandemie hat ihn noch beschleunigt. In diesem Wandel – ausgelöst durch den Rückzug des Handels, der von vielen Akteuren betrauert wird – liegen auch immense Chancen für vielfältigere, regional unterscheidbare Innenstädte, mit denen die Menschen vor Ort sich gut identifizieren können. Wie diese Chancen zu nutzen sind, legen Thomas Binsfeld und Dr. Joseph Frechen dar. Die beiden Handelsexperten mit langjähriger Erfahrung im Konzipieren bzw. Bewerten von Handelsstandorten und Städten, die immer die Nutzerwünsche und Kundenfrequenzen im Fokus haben, legen ihrem Impuls vier Ausgangsthesen zu Grunde:

These 1

Unsere Innenstädte müssen sich an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen. Vor allem im Hinblick auf den Klimawandel, die Mobilität und das Konsumverhalten. Ungenutzte Handelsimmobilien werden hier eine wichtige Rolle spielen.

These 2

Wir müssen in den Innenstädten Immobilien für die Menschen mit innovativen, mutigen, neuen multifunktionalen Nutzungskonzepten bereitstellen. Der Handel wird weiterhin ein wesentlicher Baustein in der Innenstadt sein.

These 3

Wir müssen mehr Raum schaffen für soziokulturelle und gemeinnützige Bausteine, dies muss frühzeitig bei den Projekten berücksichtigt und von allen Akteur:innen gefordert werden. Wir müssen an einem Bewertungskriterium für diesen Stadtwert arbeiten.

These 4

Hierzu müssen Netzwerke vor Ort gebildet werden und Synergien, Erfahrungen, Erwartungen sowie Rahmenbedingungen rechtzeitig besprochen werden. Wir müssen Betreiber:innen und zum Teil auch neue Eigentümerstrukturen für diese Konzepte finden.

Wieso kommen wir gerade jetzt dazu, uns stärker mit dem Wandel der Innenstädte auseinanderzusetzen und uns über ihre gemeinschaftliche Entwicklung Gedanken zu machen?

Wir kommen aus einer Phase, in der wir die Städte drastisch arbeitsteilig aufgefasst haben. Es wurde eher monostrukturell gedacht, in einzelnen Assetklassen und Immobilien.

Die Zentren waren dabei dem Handel als „Primärnutzung“ vorbehalten. Konsum war einer der Hauptgründe, warum Menschen in die Innenstadt gekommen sind. So entstand über Jahrzehnte die große Nachfrage nach Handelsimmobilien. Die Highstreet und die Fußgängerzonen haben sich herausgebildet.

  • Die Innenstadt wurde gewissermaßen aufgeräumt. Gebaut wurde, was nachgefragt war und tatsächlich ja auch sehr lange gut funktioniert hat. Handelsimmobilien – Kaufhäuser zumal – haben Frequenz in die Innenstädte gebracht. Es wurden regelrechte „Verkaufsmaschinen“ realisiert. Der Bedarf war da, doch es wurden Fehler gemacht: Zum einen haben wir teilweise zu viele Handelslagen geschaffen, die jetzt nicht mehr nachgefragt werden. Zum anderen wurde der Fokus nur auf die eine Nutzung gelegt, eine Drittverwendung der Immobilie für andere Funktionalitäten wurde nicht mitgedacht. Multi Use bedarf immer konzeptioneller Kompromisse, die nicht eingegangen wurden. Durch den Rückgang des (stationären) Handels entstehen nun Lücken (und sind bereits entstanden), die durch andere Nutzungen geschlossen werden müssen.
  • Ein weiteres Thema ist die Mobilitätslenkung. Hierfür ist nicht alleine die privatwirtschaftliche Immobilienwirtschaft verantwortlich. Die Städte standen und stehen im Wettbewerb zueinander. Ziel war, die eigene Regionalbedeutung im Wettlauf um großräumige Einzugsgebiete zu stärken. Erreichbarkeit des Handels und Bequemlichkeit für den Kunden stand im Fokus. Dass zum Wohle des Handels nach Möglichkeit jedes Geschäft oder jeder Lagebereich mit dem Auto angefahren werden konnte, war auch politisch gewollt.

Geänderte Rahmenbedingungen

Der Gesellschaftswandel, der auch durch die Digitalisierung und die Globalisierung zuletzt erheblich beschleunigt wurde, fördert nun ein anderes Konsumverhalten zu Tage. Die Menschen sind nach wie vor konsumfreudig, aber in anderer Form. Der Onlinehandel vergrößert seinen Anteil stetig. Gleichzeitig verändert sich die Haltung zum Konsum. Die vielschichtigen Auswirkungen und globalen Zusammenhänge unseres Konsums werden transparenter und immer stärker sichtbarer.

Beim Besuch der Innenstadt steht heute Aufenthaltsqualität über Erreichbarkeit. Zudem machen wir uns mehr Gedanken über unseren CO2-Fußabdruck und die Wahl des Verkehrsmittels zur Erreichung der Innenstädte. Die Pandemie hat zusätzlich vor Augen geführt, dass eventuell die Hochfrequenz in den Innenstädten nicht ratsam ist, sondern Abstand, Abgeschiedenheit oder extensive Frequenzen zu bevorzugen sind. Eines der herausragenden Lagekriterien des stationären Handels, die Hochfrequenzlage, wird damit erstmals von vielen hinterfragt.

Der zunehmende Rückzug des Innenstadthandels geht einher mit einer Renaissance der Quartiere und Stadtteile. Für die Innenstadt eröffnet sich damit aber auch die Chance, sich stärker diesem Quartiersgedanken zu öffnen. Die verschiedensten Nutzungen, die auch die Qualität unserer Stadtteile ausmachen, kommen plötzlich wieder viel stärker zum Tragen. Der Mensch und der Ort für Begegnungen im Alltag stehen im Mittelpunkt.

Wir können die Innenstädte wieder zu attraktiven Anziehungs- und Treffpunkten machen, indem wir Orte und Immobilien schaffen, in denen wir die klassischen, oftmals räumlich voneinander getrennten Bausteine wie Büro, Wohnen, Dienstleistung, Bildung, Handel und Gastronomie stärker zusammenbringen und sinnvoll mit neuen, innovativen Bausteinen kombinieren. Im Fokus muss stehen, was sich die Menschen vor Ort unter einer attraktiven und lebenswerten Stadt vorstellen und weshalb sie in die Innenstadt kommen. Dafür gilt es individuelle und regionale Lösungen zu finden.

In Kombination mit den alten Bausteinen können neue Nutzungen entstehen, egal ob es Co-Working-, Pop-up-Konzepte, Showrooms oder Markt- und Foodhallen sind. Dazu braucht es Betreiberkonzepte, um den Nutzern Freiraum für ihre Kerntätigkeit zu geben. Produktion und Handwerk können ebenfalls in die Innenstadt zurückkehren. Schließlich wird unser Konsumverhalten deutlich bewusster und wertgetriebener sein. Wir werden immer individuellere Produkte nachfragen, die uns etwas bedeuten und die wir bei Bedarf auch reparieren lassen. Dienstleistungen sind ein weiterer Baustein, zu dem auch klimafreundliche Logistik gehört. Und schließlich gilt es auch, soziokulturelle und gemeinnützige Nutzungen unterzubringen. Die Immobilienwirtschaft kann damit ihrer Verantwortung gerecht werden und eine nachhaltige Wirkung in den Innenstädten erzielen.

Multifunktionalität in die einzelne Immobilie bringen

Damit rückt der Gedanke multifunktionaler Konzepte in den Mittelpunkt der Überlegungen, die durch kreative Mischungen abgerundet werden können. Wir schaffen und erleben Multifunktionalität in den Stadtteilen und werden diese Multifunktionalität verstärkt in Immobilien bringen.

Zu diesen Immobilien gehören beispielsweise großflächige, mehrgeschossige Handelsimmobilien, wie bspw. die an vielen innerstädtischen Standorten im Rückzug begriffenen Warenhäusern. Darüber hinaus wird der Gedanke, Multifunktionalität in das Objekt zu bringen, auch bei innerstädtischen Shopping-Centern zunehmend relevant. Denn auch sie stellen sich gegenwärtig die Frage, ob perspektivisch überhaupt noch drei Verkaufsgeschosse funktionieren bzw. benötigt werden. Entsprechend könnte der Handel auf Erdgeschoss oder ein weiteres Ober- oder Untergeschoss konzentriert werden und die frei gesetzte Fläche, alternativen Nutzungen zugeführt werden.

Die Immobilienbranche ist sich hier ihrer Verantwortung bewusst. Der ESG-Gedanke – also „Environmental, Social & Governance“ als unverzichtbarer Bestandteil im Investment-Prozess – wird in der Immobilienbranche gerade deutlich intensiver verankert.

Eins muss uns bewusst sein: multifunktionale Konzepte für frühere Handelsimmobilien sind immer Kompromisse und bedürfen individueller Lösungen. Die Lösung „von der Stange“ wird es kaum geben, dazu sind die jeweiligen Voraussetzungen von Standort, Lage und Objekt zu individuell. Man muss sich mit der Gebäudesubstanz auseinandersetzen und dabei komplett andere Nutzungen bedenken. In den Warenhäusern dominieren große dunkle Flächen, für Multi-Use-Konzepte müssen aber eher kleinteilige und helle Räume erzeugt werden. Projektentwickler und Investoren müssen sich im Klaren darüber sein, dass zur Umnutzung solcher Immobilien oftmals sehr große Eingriffe erforderlich sind. Die Vermietung ist aufwendig und am Ende soll immer eine Wertsteigerung erzeugt werden. Das führt auch zu Zwängen.

Wir müssen uns, gerade bei neuen Nutzungen und Bausteinen, den Freiraum geben, uns zu öffnen und z. B. die Kreativwirtschaft ein Stück weit daran mitarbeiten lassen, neue Lösungen zu entwickeln. Aber oftmals lässt sich nur die Besonderheit des Ortes, die lokale Spezifika und das Interesse vieler für die künftige Nutzung erzielen. „Quick Wins“ sind so seltener zu erringen, aber der perspektivische Wert ist nicht zu unterschätzen.

Immobilien aus dem Ort heraus entwickeln

Denn ganz wichtig ist es, Projekte aus dem Ort heraus und für die Menschen zu entwickeln. Das braucht Mut und Innovation. Es bedeutet, sich mit dem Umfeld und den Menschen vor Ort auseinanderzusetzen, zu schauen, was sie vom Ort erwarten. Kommunikation ist gefragt, wenn man verschiedene Nutzungen unter einem Dach zusammenführen will. Es ist zu ermitteln, was am Ort fehlt und was Frequenz bringt. Um ein spezifisches Nutzungskonzept zu entwickeln, muss man die potenziellen Nutzer:innen und deren Erwartungen kennen.

Jetzt, da das Konzept des filialisierenden Handels – an jedem Standort ein und dasselbe Angebot zu offerieren – in der bisherigen Breite auf dem Rückzug ist, erleben wir eine spannende Zeit für die Innenstädte. Die Anforderungen verändern sich erheblich, Vielseitigkeit und Individualität werden möglich. Multi-Use-Konzepte führen zwangsläufig dazu, dass wir uns stärker mit der Identität des Orts auseinandersetzen. Die einzelnen Nutzer:innen vor Ort, die ein lokales Netzwerk haben, sich mit dem Ort identifizieren und ihre Kunden und das Umfeld sehr genau kennen, werden wichtiger. Es ergeben sich Chancen und Möglichkeiten für andere neue Nutzer:innen und neue Bausteine, die vorher kaum Beachtung gefunden haben. Dazu gehören auch soziokulturelle Nutzungen und die Kreativwirtschaft.

Multi-Use-Nutzungskonzepte

Es ist heute „state of the art“, dass hohe Flexibilität und hohe Drittverwendbarkeit wichtig sind. Multi-Use ist praktisch alternativlos: Fällt ein:e Nutzer:in oder eine ganze Nutzergruppe aus, dann wird die Immobilie immer noch von den anderen Nutzer:innen gestützt. Das haben viele Akteure der Immobilienbranche auch für sich erkannt.

In diesen Nutzungskonzepten gewinnt die Betreiberrolle bzw. -qualität an Bedeutung. Es gibt gute Pop-Up- und Markthallen-Konzepte, die derzeit auch in der Immobilienbranche diskutiert werden. Meist fehlt aber der Betreiber oder die Betreiberin, der den Nutzer:innen den Rücken freihält, alles organisiert und gleichzeitig dem Immobilieneigentümer:in eine (Basis)Miete zusichert. Dieser Part wird in einigen Fällen von der Kommune oder städtischen Gesellschaften übernommen. Es gibt aber ein Vakuum, das noch deutlich mehr ausgefüllt werden kann, möglicherweise auch aus der Wirtschaft und der Immobilienbranche heraus. Aktuell scheint es vielen noch zu riskant zu sein, sodass Zurückhaltung herrscht. Hier gilt es neue Geschäftsmodelle für Betreiberkonzepte zu entwickeln, um abwechslungsreiche, überraschende Orte zu kreieren.

Die Zeit schein günstig dafür, denn Investoren haben bislang, dank der Aussicht auf langfristige Mieten bei vertretbarem Risiko, Objekte bevorzugt, die eindeutig einer Assetklasse zuzuordnen waren. Seit geraumer Zeit deutet sich ein Wandel an. Multi-Use-Immobilien sind stark nachgefragt, weil unterschiedliche Nutzungen die Werthaltigkeit einer Immobilie fördern können und die Drittverwendbarkeit sie krisenresistenter macht.

Wirtschaftlichkeit und Werthaltigkeit: aktuelle Herausforderungen

Die Immobilienwirtschaft wird auch weiterhin auf die Innenstadt fokussieren. Aktuelle Hemmnisse in der Entwicklung sind die hohen Bodenrichtwerte, hohe Kaufpreise und die oft schlechte Bausubstanz der Bestandsimmobilien. Auch sind durch die bisher erzielbaren Handelsmieten die damit verbundenen Renditeerwartungen noch zu optimistisch bzw. zu hoch. Das Mietniveau senkt sich aktuell jedoch weiter ab, sodass Immobilieneigentümer:innen zunehmend mit neuen, niedrigeren Mieteinnahmen kalkulieren müssen. Damit steigt die Bereitschaft, sich mit neuen Nutzungsideen auseinanderzusetzen. Hier können Multi-Use-Konzepte den langfristen Werterhalt einer Immobilie gewährleisten und einen Beitrag zur Entwicklung und Stabilisierung eines Quartiers leisten, weil sie Frequenzen schaffen, Mieterbegehrlichkeit wecken und so das Ausfallrisiko für den Vermieter senken.

Multi-Use Konzepte erfordern oft aber sehr hohe Eingriffe in den Immobilienbestand. Bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung einer zu revitalisierenden Immobilie ist es daher wichtig, das Gebäude und seine Eigenheiten zu verstehen, vor allem hinsichtlich Altlasten, Baurecht, Statik, Schall- und Brandschutz. Dazu sollte bereits frühzeitig eine erste Nutzungsidee bestehen, um die damit verbundenen notwendigen Anforderungen z.B. an die Belichtung, bei der Evaluation des Gebäudes einschätzen zu können. Erst danach kann man entscheiden, wie man mit der Bausubstanz umgeht und welche Flächenverluste oder Erweiterungsmöglichkeiten sich ergeben können. So spielen die Bausubstanz der zu revitalisierenden Gebäude sowie die Grundstücks- und Immobilienkaufpreise eine bedeutende Rolle für das zukünftige Nutzungskonzept. Je teuer die Immobilie bzw. der Einstandspreis und je höher die Baukosten, desto größer wird der Anteil der klassischen Bausteine im Nutzungskonzept! Die „Experimentierfreude“ bei der Immobilienentwicklung nimmt entsprechen ab. Im Umkehrschluss bedeutet das: Geringere Kosten für Erwerb und Umbau ermöglichen eher individuelle, aus dem Standort heraus entwickelte Nutzungskonzepte, die auch soziokulturelle Nutzungen (und weniger mietstarke Nutzungen) integrieren. Dazu sollten vor allem flexible Konzepte mit einer hohen Drittverwendbarkeit zählen. Eigentümer:innen von Immobilien werden weiterhin auf Werterhalt oder Wertsteigerung bedacht sein.

Bei zukünftigen Entwicklungen werden neben den wirtschaftlichen Interessen eines Investors auch die Interessen der Stadtgesellschaft stärker mit in den Fokus rücken. Entsprechend ist auch der „Stadtwert“ in die Betrachtung mit einzubeziehen. Spannend wird es sein, Methoden zu entwickeln, diesen Stadtwert zu bewerten, optimalerweise auch so, dass Mehrwerte für Investoren und die Stadtgesellschaft sichtbar werden.

Partizipation

Um Identifikation zu erzeugen, gilt es, lokale Aktivitäten und Akteure zu identifizieren und zusammenzubringen. Dieser Aufgabe müssen sich Projektentwickler:innen und Investoren stellen. Es gilt, sich in das lokale Gefüge einzufinden und in vorhandene Netzwerke zu integrieren. Ein:e Projektentwickler:in kann nicht mehr im „stillen Kämmerlein“ arbeiten, plötzlich den Vorhang wegziehen und sagen, das Projekt ist fertig. Richtig und wichtig ist vielmehr, den Entstehungsprozess frühzeitig mit allen Beteiligten der Stadtgesellschaft zu initiieren und zu entwickeln, mit Politik, Verwaltung sowie Bürger:innen. Projekte, die Ergebnis dieser Entwicklungsarbeit sind, dürften auch bei den Bürgerinnen und Bürgern eine höhere Akzeptanz finden – als gute Lösung, die gerne mitgetragen wird und zur Identifikation mit dem Ort beiträgt.

Wir müssen Transparenz schaffen. Der Prozess der Entwicklung und die Rollen aller Beteiligten müssen klar sein, genauso wie die wirtschaftlichen Parameter. Sie setzen den Rahmen, aus dem heraus gemeinsame Ziele und Erwartungen formuliert werden, an denen man gemeinsam arbeiten kann, um so einen partizipativen Prozess in Gang zu setzen. Projektentwickler:innen brauchen Verlässlichkeit, sowohl gegenüber den Banken als auch gegenüber den Nutzer:innen. Und sie brauchen valide Prozesse, die nicht noch länger dauern als ohnehin schon. Bspw. wollen die meisten Büronutzer:innen nicht länger als anderthalb Jahre warten, um in ein neues Büro einzuziehen. Wenn mehr Zeit verstreicht und keine verlässliche Aussage zu einem konkreten Einzugstermin getroffen werden kann, verliert man Interessenten. Diese Anforderungen darf man im partizipativen Prozess nicht aus den Augen verlieren. Deshalb wird es auch Bereiche geben, z.B. bei den Ankermieter:innen, in denen der Projektentwickler oder die Projektentwicklerin bzw. der Investor oder die Investorin freie Hand haben muss.

Wichtig ist ein gegenseitiges Verständnis. Aus neuen Netzwerken, die vor Ort entstehen, können sich Innovator:innen und Treiber:innen herausbilden, die ihre intrinsische Motivation vor Ort einbringen. Ein wesentlicher Part der Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ wird darin bestehen, den partizipativen Prozess loszutreten. Ziel ist es, die oben beschriebene Transparenz und Klarheit zu schaffen. Dafür müssen gegenseitige Erwartungen formuliert werden. Wir wollen gemeinsam herausfinden, auch in den Folgeveranstaltungen, welche Rolle die Kreativwirtschaft und die soziokulturellen Nutzungen in Multi-Use-Immobilien spielen können, welche Leistungen erbracht werden können und wie wir diese Leistungen bewerten, um dann diese Mehrwerte der Immobilienbranche aufzuzeigen. Ganz wichtig wird sein, dauerhaft tragfähige Geschäftsmodelle zu finden. Wir müssen Betreiberkonzepte entwickeln, die für Mieter:in und Vermieter:in interessant sind und die Abwechslung und Frequenz in die Innenstadt bringen, um den Stadtwert für die Stadtgesellschaft zu erhöhen.

Soziokulturelle Nutzer:innen könnten auch dadurch zu einem Baustein der gemischtgenutzten Immobilie werden, wenn sie die Chance ergreifen und sich als Partner:in für die Immobilienbranche darstellen, indem sie eine Betreiberrolle anbieten/übernehmen und diese Leistung für das Quartier bei der Miethöhe im Objekt berücksichtigt wird. Sie könnten einen Beitrag zur Inszenierung der Immobilie leisten, um immer wieder Besuchsanlässe zu kreieren. Zum Beispiel, indem sie speziell das Erdgeschoss so bespielen, dass es zur Identität des Ortes beiträgt und eine Adressqualität schafft und die Mieter:innen davon überzeugt, in die Obergeschossflächen des Objekts einzuziehen. Die Spannung für den Stadtraum wird besonders durch publikumsbezogene Nutzungen in den Erdgeschosslagen entstehen. Sieben Tage die Woche, morgens, mittags und abends Angebote zum Besuch zu offerieren, leisten den herausragenden Beitrag Innenstadt und Quartier für alle zu einem begehrten Ort und „Place to be“ in der Stadt werden zu lassen. Diese Attraktivität strahlt auf die Obergeschosse im Objekt gleichermaßen wie auf die Umgebung und den Lagebereich ab.

Klassische Projektentwickler:innen brauchen oft 70% Vorvermietung, meistens über die klassischen Nutzungen wie Büro, Wohnen, Handel, Gastronomie, die als verlässliche Mietzahler eingestuft werden. Dann erst kann ein Projekt starten. Das ist der normale Prozess, dennoch muss vor Ort oft um ein Verständnis dafür geworben werden, dass das Projekt nicht stockt, wenn erst die Ankermieter:innen gesucht werden und danach die Belange der Stadtgesellschaft ganz besonders beachtet werden. Es ist also wichtig, sehr früh Projektkriterien in Richtung Nachhaltigkeit, gesellschaftlicher Mehrwert und Stadtwert festzulegen, auch wenn dann erstmal an den klassischen Bausteinen gearbeitet wird. Soziokulturelle Nutzungen müssen von Anfang an im Nutzungskonzept berücksichtigt werden, sonst ist es am Ende zu spät.

Nutzer:in als Eigentümer:in – intrinsische Motivation als Erfolgsfaktor

Gerade in Kleinstädten und im ländlichen Bereich, wo klassische Investor:innen oft nicht tätig sind, kann es eine gute Lösung sein, Innovator:innen und Treiber:innen vor Ort zu identifizieren, deren gemeinsame Interessen zu finden und zu überlegen, wie diese Nutzer:innen gemeinsam Immobilien erwerben können, um sich so langfristig an den Ort zu binden. Das kann über Teileigentum oder ein Genossenschaftsmodell geschehen. Hier wird vor allem wichtig sein, dass die Eingriffe in die Immobilie nicht zu groß sind, damit die wirtschaftliche Belastung die Beteiligten nicht überfordern. Die Effizienz und die Qualität der Ausstattung dieser Gebäude wird bei weitem nicht so Werthaltigkeit wie bei Investments von klassischen Investor:innen sein müssen. Dafür aber kann die intrinsische Motivation der Menschen vor Ort uns viele spannende und inspirierende Orte bringen.

Wir sind sehr froh, Teil dieser Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ zu sein und bewusst mit Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen und Netzwerken zusammenzukommen, um neue Orte in den Innenstädten für die Menschen zu besprechen und hoffentlich auch an konkreten Orten, in Reallaboren auszuprobieren. Gemeinsam können wir neue Rollen in der Innenstadt entwickeln, wie die des Betreibers/ der Betreiberin als Geschäftsmodell, um dauerhaft interessante Orte für die Menschen zu gestalten.